Schön, wenn man einfach so, schwupps, alles über einen Kamm scheren kann.

Ich bin ja eigentlich ein ruhiger, ausgeglichener Zeitgenosse, aber die derzeitigen Debatten über SInn und Unsinn von Hartz IV machen mich - als persönlich Betroffenen - ziemlich stinkig.

Die Politik, und derzeit besonders Hannelore Kraft (SPD), geht wohl davon aus, daß man sich den Sticker “Langzeitarbeitsloser” freiwillig und mit Wonne aufklebt. Dem ist nicht zwangsläufig so.

Mal zur Veranschaulichung meine Historie. Ich habe 1996 mein Abitur gemacht (Note 2,3), danach habe ich Englisch (Literaturwissenschaft) und Medienwissenschaft studiert, und zwar sechs Semester lang. So lange hat es gebraucht, bis mir klar wurde, daß man als Bücherleser und Filmegucker nicht sonderlich weit kommen wird, jobmäßig. Also hab ich die Notbremse gezogen und mich zum Fachinformatiker ausbilden lassen. Das ging bis 2000, danach hatte ich ein IHK-Zertifikat in der Tasche, daß mich als Fachinformatiker auswies. Schon während meiner Ausbildung, und zwar in der Zeit, wo ich mich für’s sechsmonatige Praktikum bewerben sollte, machte sich ein gewisses Problem bemerkbar: Arbeitgeber haben Probleme mit Behinderten. Ich bin zwar “nur” stark sehgeschädigt, aber das reicht vielen schon als Grund aus, meine Bewerbungen - immerhin mit IHK-zertifizierten Bewerbungstrainern erstellt - abzuschmettern.

Also saß ich dann im Jahr 2000 frohen Herzens mit meinem Zertifikat rum, hab mich durch das Internet und zwei Ausgaben c’t gewühlt und Bewerbungen ausgefüllt. Schnell mußte ich feststellen, daß meine Qualifikationen nicht dem entsprachen, was in der IT-Branche eigentlich gesucht wird. Egal, trotzdem erstmal drauflos bewerben. Wenn mal was zurückkam, dann die Standardfloskel “Ihr Bewerbungsprofil entspricht nicht den von uns gesuchten Parametern.” o.ä. Mittlerweile hatte ich mich arbeitslos gemeldet - von irgendwas muß der Mensch ja leben - und das Arbeitsamt unterstützte mich auch tatkräftig in meiner Jobsuche. Ich bekam alle paar Monate mal ein Jobangebot, auf das ich mich natürlich auch prompt beworben hatte, aber meist scheiterte es entweder an den unpassenden Qualifikationen oder der Tatsache, daß ich keinen Führerschein hatte. Dann, aus dem Nichts, kam der Hinweis, daß ich mich doch bitte bei Firma XY zu melden habe, da man mir nach §19 ShGb einen Job vermittelt habe. Firma XY war ein Copyshop. Ich also zu meinem Sachbearbeiter im Arbeitsamt und mal freundlich nachgefragt, was zum Geier das sollte. Da hieß es nur lapidar “Ich hab in Ihren Unterlagen gesehen, daß Sie was mit Computern machen können. Die haben da auch Computer, deshalb gehen Sie da jetzt hin.” Aha, danke.

Ich also hin. Ein Jahr lang. Nur: Der einzige Computer, der da rumstand, wurde zum Einscannen von Fotos für den T-Shirt-Druck benutzt. Also hab ich, als Asthmatiker, ein Jahr lang in einem kleinen, stickigen Kabuff Altpapier sortieren dürfen. War zwar gut bezahlt, aber mit meiner Ausbildung hatte das leidlich wenig zu tun. Und nach Ende dieses Jahres war auch Schluß. Das war 2001-2, und seitdem quengle ich beim Arbeitsamt rum, man möge mir doch bitte eine Fortbildung oder Umschulung bezahlen, damit ich auf dem Arbeitsmarkt wieder eine Chance bekomme. Die Zeit bleibt ja nicht stehen, und das, was 1999/2000 State-of-the-Art war, ist heute Schnee von Übergestern. PHP war damals ein Insider-Thema, Java wurde als “Schnupperkurs” angeboten, Win 2k war grade Cutting-Edge - alles Schomnzes von gestern.

Und was kriege ich vom Arbeitsamt zu hören? Pardon, von der “Agentur für Arbeit”? “Sie bekommen eine Fortbildung bezahlt, wenn die Aussicht auf Einstellung besteht”. Im Klartext: Man muß mir einen Job zusichern, auf den ich dann fortgebildet werden kann, damit man mir eine Fortbildung bezahlt?

Und jetzt soll ich, wenn’s nach dieser Tussi von der SPD geht, in Altenheimen Bücher vorlesen oder Straßen fegen? Warum hab ich mir dann damals den Schuh angezogen und Abi gemacht? Die Mühe hätte ich mir auch sparen können und bei der Behindertenwerkstatt umme Ecke anheuern können, die suchen sicher noch Korbflechter. Das Handwerk leidet ja unter Ausbildungsmangel.
Ich für meinen Teil bin auf jeden Fall superstinkig. In den Betrieben werden links und rechts Leute gefeuert, es wird nix, aber auch gar nix in der Ausbildung getan - und diese fetten, gutverdienenden Politiker, die ja eigentlich FÜR DAS VOLK denken sollen, pulen sich immer mehr Müll aus dem Hirn, um sich selbst zu profilieren und ja nichts an den Problemen zu ändern, die sie oder ihre Kollegen (hallo Schröder!) überhaupt erst in die Welt gesetzt haben.

Tja, und da wundert man sich, warum die Gesellschaft gewalttätiger wird. Ich könnte jetzt problemlos jemandem den Hals umdrehen. Problem daran: Danach wird’s nicht besser.