Heute mal wieder ein Querschlag durch einige nicht zwingend naheliegende Themen.

Zuerst mal zum Titel:
Was dauert knappe 30 Sekunden, man kann aber problemlos Stunden damit verbringen? Coole Antworten bitte an meine Kontakt-Email-Adresse.

Die Auflösung gibt’s natürlich sofort hintendrein.
Half-Minute Hero Super Neo Mega Climax!!, seit Mittwoch auf Xbox Live Arcade erhältlich.

Wäre man fies, könnte man es als “Rollenspiel für die ADHS-Generation” betiteln. Treffender ist jedoch, daß man das Gameplay eines typischen NES-Rollenspiels auf leichtverdauliche Portionen runterdestilliert hat. Die Prämisse ist so skurril wie unverbraucht: Die Welt geht in 30 Sekunden unter, und der Held muß in dieser Zeit hochleveln, Sidequests lösen und natürlich last, but not least den Big Bad am Ende erledigen. Da selbst ein koffeingedoptes Duracell-Bunny mit dem heutigen Stand der Technik keine solchen Geschwindigkeitsrekorde brechen kann, haben die Entwickler einige Möglichkeiten eingebaut, damit diese 30 Sekunden erheblich länger dauern.
Erstens läuft die Zeit in “Event-Locations” wie Städten, Burgen, Cutscenes etc. nicht weiter, und zweitens hat der Held die Möglichkeit, gegen Bares die Time Goddess darum zu bitten, die Zeit wieder auf Anfang zu drehen. Selbst mit diesen Tricks verläuft das Spiel noch ziemlich hektisch, entwickelt aber grade durch seine Reduktion aufs Minimalste einen extremen Suchtfaktor (zumindest bei mir). Und da es langweilig wäre, immer wieder nur einen 30-Sekunden-Happen zu spielen, beinhaltet Half-Minute-Hero eine beeindruckend lange Serie an Episoden (laut Werbetafel knapp 67 alleine im “Hauptspiel”).
Diese Episoden laufen zwar grob nach dem gleichen Schema ab, aber jede Episode besitzt einen oder mehrere Twists der Formel, die die ganze Sache immer wieder spannend machen. Entweder gibt es mehrere Wege zum Ziel, man muß das Zeit-Zurückspulen kreativ nutzen, um z.B: eine Naturkatastrophe zu verhindern, mal gibt es mehr als einen Endboss etc.

Ich habe schon von der PSP-Version des Spiels viel Gutes gelesen, aber die größte Überraschung der 360-Portierung ist, daß es eine wirklich gute Story gibt. Klar, es gibt wirklich haufenweise Klischees, aber die werden ebenfalls als Stilmittel benutzt - sei es jetzt der notorisch stumme Held, die geldgeile Zeitgöttin oder die wirklich bizarre Riege an Endgegnern (die von einem Unbekannten mit dem Zauber des Weltunterganges versorgt werden). Das Spiel schafft es sowohl, sich nicht ganz ernst zu nehmen aber trotzdem logisch und in sich schlüssig zu sein UND noch zu unterhalten.

Auch wenn das Tutorial nicht grade leicht verständlich ist (es wirkt komplizierter, als es sein müßte), hat man eigentlich schon nach den ersten zwei Minuten alle Werkzeuge an der Hand, um die Welt zu retten. Die normalerweise auf Dauer nervigen Aspekte des Rollenspiels (Levels grinden z.b.) werden komplett automatisiert, der Spieler kümmert sich nur noch um die wichtigen Dinge. Rätsel lösen, Ausrüstung und Heil-Items kaufen, mit NPCs quasseln etc.

Und was das Spiel für mich noch sympathischer macht, ist die Art der Präsentation. Das PSP-HMH war optisch komplett im 8bit-Retro-Style gehalten - nur die Musik war ein Orchester-/Hardrock-Hybrid. Für die HD-Portierung wurde ein zweiter (optionaler) Grafikmodus (Super Neo Paper Cutout-Mode - kein Witz) eingebaut, der in etwa an “Scherenschnitt trifft Flash-Animation” erinnert und schleunigst gegen die wunderschöne Pixel-Art eingetauscht werden sollte. Zum einen finde ich den Pixel-Look übersichtlicher, zum anderen haben die Entwickler einige wirklich fantastische Panorama-Bilder gepixelt, die im HD-Modus komplett untergehen (ich denke da z.B. an die Szene, in der die Time Goddess den Helden den Pakt anbietet - klasse!). Netter Gag am Rande - im Pixel-Modus sind sämtliche Schriftzüge hochauflösende, geschwungene Hi-Res-Logos, während im Super-Neo-Cutout-Modus Logos, HUD-Anzeigen etc. den Charme eines 8bit-Titels haben.

Wer auch nur am Rande Interesse für Rollenspiele, oder lustige Spiele, oder sogar Denkspiele hat, sollte mal ein Auge auf Half-Minute Hero: Super Mega Neo Climax!! werfen. Mehr Stunden kann man mit halben Minuten kaum füllen.

Interessanterweise gibt’s nahezu zeitgleich ein ähnlich gelagertes Projekt. Desktop Dungeons vom Indie-Entwickler QCF Designs (aus Südafrika, of all places!) nimmt sich den Urvater der heutigen Rollenspiele vor - die Roguelikes. Unter einem Roguelike versteht man (üblicherweise) einen Dungeoncrawler in Ascii-Optik wie z.B. Nethack, die verschiedenen Angband-Derivate oder das auch in unserem Haushalt oft und gerne gespielte ADOM. Normalerweise ist die Spieldauer dieser Spiele eher in Tagen, als in Stunden zu messen (sofern man nicht grade auf Level 1 oder 2 gefressen wird, hehe) und Desktop Dungeons dampft das auf knappe 10 Minuten ein. Keine endlosen Level-Berge, stattdessen ein Ein-Bildschrim-Level. Aber sämtliche Trademarks eines Roguelikes sind da - der hohe Schwierigkeitsgrad, das Erforschen unbekannter Gebiete, das clevere Verwalten stark begrenzter Ressourcen und natürlich der Perma-Death. Quick-Saves? Nö. Vor jedem Kampf speichern? Wie bitte? Das ist sozusagen die “reine Lehre” - eine falsche Entscheidung und man ist eine feine rote Paste auf dem Kopfsteinpflaster. Und ehe man sich versieht, sind schon wieder vier Stunden rum, weil man nur noch diesen einen Dungeon knacken wollte. Ächz.
Netterweise gibt’s die Testversion von DD für umme, allerdings ist sie nur ein Prototyp dessen, was QCF-Designs kürzlich auf der E3 gezeigt haben. Die käuflich zu erwerbende Version wird natürlich schicker aussehen und tonnenweise neue Features haben. Mein Pre-Order ist schon seit Wochen draußen, und auf dieses Spiel bin ich fast noch gespannter als auf alle Mega-Blockuster-AAA-Monstertitel, die es dieses Jahr wohl noch geben wird.

Eigentlich wollte ich noch eine humoristische Beleuchtung typischer japanischer RPG-Stereotypen in diesen Text einfließen lassen, aber so langsam läuft auch meine Aufmerksamkeitsspanne gegen Null. Stattdessen gibt’s noch kurz was auf die Löffel, meine aktuelle Dauerrotations-CD nämlich.

Born Of Osiris - The Discovery. Extremster Progressiv-Metal. Neanderthaler und Kernphysiker spielen Blood Bowl auf einem Sternenkreuzer. In etwa. Enjoy!