Muß auch mal sein. Nach Durchsicht der letzten Handvoll Posts ist mir aufgefallen, daß dieses immer mehr zu einem Rant-Ventil für mich wird. Andererseits: Solange die Spielebranche Unfug wie Season-Pässe oder DLC-Ankündigungen vor Release rausklopft, kann und sollte man sich ruhig etwas aufregen.

Aber damit ich nicht gezwungen werde, dieses Blog in “Geheule, Gebashe und der müde Rest” umzubenennen, hier mal ein glühendes Jubelreview. Und das auch noch zu einem Ego-Shooter. Einem modernen! Heute: Far Cry 3

Ich hatte es ja schon in der “God Mode”-Rezi angerissen: Ego-Shooter heutzutage sind erschreckend langweilig und einfallslos geworden. Unaufhaltsamer Super-Soldat, Terroristen, XP-System, alles in eine möglichst “filmreife” Skriptorgie gewickelt und in unter 8h abzufrühstücken. Das dürfte in acht von zehn Fällen den Status Quo des Ego-Shooters darstellen. Schön, daß es dann doch noch Ausnahmen wie Far Cry 3 gibt, die mit (fast) allen Konventionen und Erwartungen brechen. Es geht schon mit der Story los.

Man spielt Jason Brody, einen von drei Brody-Bros. (sorry, konnte nicht wiederstehen), der zusammen mit seinen beiden Brüdern, Freundinnen und Freunden einen Südpazifik-Urlaub macht. Jason und Co. sind alles Kinder reicher Eltern, daher gehören Alkoholvernichtungen, Skydiving und Rumposen zum Urlaubsalltag wie eine Dose Painkiller zu Max Payne. Und wenn uns Maxe eins gelehrt hat, dann daß Kinder reicher Eltern relativ schnell relativ häßliche Sachen erleben. Das große Skydiving über einer kleinen, malerischen Inselgruppe endet in Turbulenzen, die Party wird versprengt, und Jason findet sich mit seinem großen Bruder Grant in einem aus Bambusrohren zusammengekleisterten Käfig im Lager moderner Piraten wieder, deren Anführer Vaas verrückter ist als eine tollwütige Ratte auf Ecstasy. Wir reden hier vom Typ Psychopathen, der innerhalb von zwei Sätzen von “kühl und kontrolliert” zu “Schaum vorm Mund und Augenrollen” umschaltet. Und von dem Moment an geht wirklich alles den Bach runter. Grant war nämlich bei den GI’s und boxt sich und Jason aus dem Käfig, und eine haarsträubende Schleich-Sequenz später rennt man von Vaas, den Piraten und wild kläffenden Hunden verfolgt durch den Dschungel, bis man unglücklich stolpert, hinfällt und von netten Eingeborenen aufgesammelt wird. Nein, direkt helfen und Jasons Familie und Freunde retten können sie nicht, aber sie können ihm helfen, sich selbst zu helfen. Und so beginnt die Wandlung von Jason Brody, Weichei, hin zu Jason Rambo. Seriously. Und ganz ehrlich? Das Ganze wird so stringent durchgezogen, man kauft den Machern die ganze Sache ohne mit der Wimper zu zucken ab. Ist auf jeden Fall mal was anderes als der übliche Militärporno-Dreck.

Far Cry 3 ist, um’s mal ganz furchtbar technisch zu machen, eine Ego-Shooter-Sandbox. Zwischen den Storymissionen, die man dankenswerterweise immer von selbst anstupsen kann, hat man unglaublich viel Freilauf. Und den füllt Far Cry 3 fast von ganz alleine mit allerlei Sachen, die man anstellen kann. Man wird ja nicht über Nacht vom Warmduscher zur Ein-Mann-Armee, den Weg dahin pflastert man mit allerlei Aktivitäten. Zuerst wären da die Radiotürme, die man in bester Assassin’s-Creed-Manier erklimmt, um peu à peu die Karte nebst Nebenmissionen und Jagdgebieten freizulegen. Für jeden erklommenen Turm gibt’s einen oder mehrere neue Schießprügel umsonst im Laden. Aber mit Knarren allein kommt man auch nicht weiter. Relativ realitätsnah gehalten ist nämlich auch Jason’s Tragekapazität. Ich hab mich bei God Mode ja lauthals über das sinnlose Zwei-Waffen-Limit beschwert, das in einem Fun-Geballer so komplett fehl am Platz ist. In Far Cry ist die Erweiterung von Munitionstaschen, Holstern und Geldbörsen ein zentrales Spielelement. Um neue Gürtel, Bandoliere, Holster oder Börsen zu schneidern, braucht man Rohstoffe in Form von Tierhäuten. Und da Jason ja ein Mann von Welt ist (oder die verschiedenen Tiere bestimmte symbolische Bedeutungen haben, who cares), darf es nicht einfach überall Nappaleder sein. Nein, man jagt alles, von Borsti dem Hausschwein bis hin zum superseltenen “Goldenen” Bengalischen Tiger. Und hier wird’s so richtig cool. Die Viecher werden nicht einfach nur für die Missionen generiert, die tigern (oder komododrachen oder leoparden) nämlich auch im normalen Spiel durch die Gegend. Folgende Situation hat mich beinahe eine Tasse Kaffee gekostet:

Keine anderthalb Stunden im Spiel beschließt Beastie, daß er doch mal ein zweites Waffenholster braucht. Laut Bauanleitung im Spiel benötigt man dafür Tapir-Leder. Also flugs die Karte aufgefaltet, den Tapir-Jagdgrund mit einem Wegpunkt versehen und los. Man kann in bester Sam-Fisher-Manier durch das Unterholz pirschen, um die erstaunlich schreckhaften Viecher nicht zu erschrecken. Ich luge also über das Visier meiner AK-47, bereit, den ersten Tapir mit einem Blattschuß umzulegen, als es hinter mir im Dickicht raschelt. Ich denke mir “oh, ein anderer Tapir, der an mir rumschnüffeln will”. Nur… Tapire grollen nicht tief und ominös. Ich dreh mich also um und sehe noch etwas großes, orange-schwarz-weißes mit weit aufgerissenem Maul auf mich zurasen, dann wirds laut und hektisch, und zehn Sekunden später war ich Tigerfutter.

Das funktioniert allerdings auch in eine andere Richtung. Neben dem Dezimieren der lokalen Fauna besteht der Helden-Alltag natürlich auch aus handfestem Geballer gegen Zweibeiner, in diesem Fall gegen das Piratenpack von Vaas, welches die armen, friedfertigen Rakyat-Eingeborenen komplett überrannt hat. Komplett? Nee, da gibt’s noch ein Dorf, welches den Eroberern unentwegt die Stirn bietet. Und als Held wider Willen braucht man natürlich alle Hilfe, die man kriegt. Im Gegenzug für eine sichere Unterkunft hilft man den Rakyat, nach und nach die Insel zurückzuerobern, indem man strategisch wichtige Außenposten piratenfrei macht. Und wenn die Piraten so blöd sind und einen Tiger oder Leoparden im Lager eingesperrt halten, müssen sie sich nicht wundern, wenn ich, ganz grünes Gewissen, die Viecher freilasse und mich daran weide, wie sie unter den Piraten Hof halten. Oder wenn durch puren Zufall ein Tiger vom Geballer angelockt wird und eher auf Pirat als auf Inselkrieger Hunger hat.

Eigentlich kann ich Erfahrungspunkte-Systeme in Ballerspielen (oder generell überall AUSSER Rollenspielen) nicht mehr sehen, aber Far Cry 3 handhabt das Ganze elegant. Anstelle von Borderlands-mäßig aufploppenden XP-Zählern füllt sich ein angenehm unauffälliger Balken links unten im Bild, der sich auch nur dann blicken läßt, wenn was passiert. Für die hart erarbeiteten XP kriegt man Skillpoints, die man in allerlei Nützlichkeiten wie eine längere Lebensleiste, mehr gefundene Pflanzen- oder Tierteile oder auch neue Möglichkeiten, seine Gegner umzulegen, eintauschen kann. Egal ob neue Hinterrücks-Meucheleien, effizienterer Umgang mit Pfeil und Bogen (erstaunlich suchtfördernd!) oder verbesserte Zielgenauigkeit mit dem Schießprügel der Wahl - die Skills sind bis auf wenige Ausnahmen eher Sachen, die das Leben leichter machen als Insta-Win-Formeln. Elegant gelöst, well done.

Neben “Just Cause 2″ hab ich seit langem kein Open-World-Spiel mehr gespielt, in dem man so viel Freiheit hat und in dem so viel Spaß aus zufälligen Situationen entstehen kann. In den Story-Missionen wird’s leider erheblich konventioneller, hier konnten die Entwickler dem Ruf Hollywoods leider nicht ganz entkommen und ärgern mich mit nervigen Skript-Sequenzen. Relativ am Anfang kann man seine verschollene Freundin retten, nur um von Vaas in eine Falle gelockt zu werden. Endresultat: Eine als spektakulär geplante Fluchtsequenz aus einem einstürzenden, brennenden Hotel. Unter Zeitdruck. Und mit panisch kreischender Else im Nacken. Das hat für mich nix Spektakuläres, sondern nervt einfach nur, vor allem wenn man das strenge Zeitlimit, die praktisch nicht vorhandene Sichtbarkeit der Umgebung und die konstanten Insta-Tode bei einem falschen Schritt addiert. Zu allem Übel sind die Checkpoints dünn gesät, und die darauf folgende Auto-Flucht-Kabumm-Sequenz reißt da auch nicht mehr viel. Für jede coole Idee kommt eine vorhersehbare, nervige Nummer. Nach der Fluchtsequenz im Jeep kommt nämlich ein paar Missionen weiter eine Fluchtnummer im Boot, die genau so nervig ist, und das “ich passe mit meiner Snipe auf einen hilflosen Kollegen auf” habe ich in Max Payne 3 auch eleganter erlebt. Versteht mich nicht falsch - es GIBT fantastische Ideen, wie z.B. das unauffällige Infiltrieren eines Forschungsschiffes und die Flucht aus selbigem, nachdem es von einer Bombe auf den Meeresgrund geschickt wird, oder das Herumkrabbeln in alten japanischen Bunkeranlagen. Nur werden diese coolen Momente vom Missions-Einheitsbrei á la “laufe hierhin und lasse dich nicht sehen” oder “beschütze Person X” (immer wieder, leider) überschattet.

Technisch hat mich Far Cry 3 ziemlich vom Hocker gehauen. Das Insel-Paradies sieht einfach verdammt noch mal GEIL aus! Fette, satte Farben! Weitsicht ohne Ende! Sogar das Grünzeug wird gut bis extrem gut dargestellt, der Dschungel wirkt je nach Ecke schön undurchdringlich oder auch mal gerne lichtdurchflutet. Als krasses Kontrastprogramm gibt’s dann die gammeligen Wellblech-Hütten, die den Verfall der ganzen Gegend darstellen, oder die teilweise schwer ausgebombten japanischen Bunker- und Artillerieanlagen, die sich überall auf den Inseln finden. Auch cool: Die Gesichter! Oder genauer: Die Art und Weise, wie einem die Charaktere in die Augen gucken. Verleiht ihnen einen kleinen Extra-Tacken Realismus.

Und dann erst der Sound. Auch wenn gewisse Charaktere (Shopkeeper?) relativ rauschig und Lo-Fi klingen, ist die Soundkulisse sonst ein Fest. Klettert man auf einem der übelst maroden Radiotürme herum, knarrt und quietscht es, daß einem Angst und Bange wird. Der Wald hat eine vielschichtige, erstaunlich realistische Klangkulisse. Jede Tierart kann man nach einigen Spielstunden am Klang erkennen (was bei Tigern, Komododrachen und diesen verdammten Cassowaries bitter nötig ist!). Die einzigen, die ein wenig kurz kommen, sind die Piraten. Man könnte Far Cry 3 diesbezüglich auch germe mit “the clone wars” untertiteln, denn ähnlich wie in Assassin’s Creed gibt’s gefühlte zwei Sprecher mit jeweils einer Handvoll Sprüche für “cool”, “nervös” und “ICH REISS DIR DIE EIER AB!”. Die Musik ist angenehm unaufdringlich, ein konstantes Unterfüttern mit blubbernden Electronica-Beats. Leider gibt’s im Menü ein alles zudröhnendes Geräusch, daß nur dann verschwindet, wenn man auch die Musik ausmacht, was dann im Endeffekt auch nicht wirklich wehtut. Dafür hat das Spiel genug Soundkulisse.

Die Steuerung geht angenehm von der Hand. Verglichen mit vielen anderen Shootern ist Jason ziemlich mobil und aktiv und dementsprechend ist der Controller voll belegt. Aber man fummelt sich schnell rein und läuft, schleicht oder meuchelt sich leise durch die Gegner. A propos: Ähnlich wie Crysis profitiert man in Far Cry 3 auch von einer dezent stealth-lastigen Arbeitsweise. Die Gegner sind gnadenlos, wenn’s darum geht, einen in die Ecke zu drängen, und selbst mit hochgezüchtetem Arsenal ist man besser bedient, wenn man sich die Piraten einen nach dem anderen vom Hals schafft. Wie in vielen Open-World-Spielen nämlich üblich, löst ein Alarm eine nicht enden wollende Flutwelle an nachrückenden Gegnern aus, und da man im Regelfall allein unterwegs ist, gewinnt die Übermacht am Ende meistens. Stört mich aber nur marginal, das Gefühl, einen Außenposten akribisch ausbaldowert und danach feindfrei bekommen zu haben, ohne dabei entdeckt zu werden, löst schon fast vergessen gelaubte Momente der Zocker-Glückseligkeit aus. Kein Händchenhalten seitens des Spiels. Keine nervigen QTE’s. Nur ich, mein Plan und meine Knarren. Geil.

Und in noch einer Hinsicht überrascht Far Cry 3: Der Lebensdauer. Ich bin jetzt bei etwas mehr als 47 Prozent, habe nicht mal die Hälfte der Story-Missionen hinter mir, aber schon weit über dreißig Stunden auf der Uhr. Und nur ganz, ganz wenige kamen mir dabei wie Zeitverschwendung vor (wenn man mal von den elenden Wiederholungen im brennenden Hotel absieht). Neben den Story-Missionen, den zu befreienden Außenposten und Radiotürmen gibt’s noch eine verdammte Sintflut an Sammelgegenständen, die einen komplett auf Trab halten. Eingeborenen-Relikte geben nette EXP-Boni, man kann Briefe von gefallenen japanischen Soldaten finden, die auf eine fürchterliche Tragödie während der letzten Tage des Pazifikkriegs hindeuten, dann gibt’s noch jede Menge Plunder, den man für Geld an den Mann oder die Frau bringen kann… Und ehe man sich’s versieht, hat man, anstelle die nächste Mission zu starten, wieder ein Viech gefunden, welches man noch für diese oder jene Tasche braucht, was dann wieder zu einem Außenposten geführt hat, den man noch nicht befriedet hat usw, usf. Stunden später reibt man sich die Augen und fragt sich, was man EIGENTLICH machen wollte. Und DAS mag ich an guten Videospielen.

Neben der reinen, gehaltvollen Singleplayer-Story gibt’s noch eine komplette, seperate Coop-Kampagne, die ich allerdings aus Mangel an Mitspielern noch nicht antesten konnte, und den obligatorischen Deathmatch-Multiplayer. Die Ideen dahinter, mit Karteneditor und Loadouts und weiß der Geier, mögen ja großartig sein, aber Far Cry 3 eignet sich in meinen Augen ähnlich gut für ein hektisches Deathmatch wie z.B. ein Ridge Racer. Zu viel Betonung liegt auf Schleichen und hinterrücks meucheln, und die unglaublich detailreiche Grafik macht das Finden von dem Typen, der gerade auf mich ballert, nahezu unmöglich.

Fazit: Fast wie Urlaub vom Spiele-Alltag, nur mit blutrünstigen Piraten, menschenfressenden Tigern und jeder Menge (virtueller) Drogentrips. Wie oft Jason in Far Cry 3 schon einen Monsterflash gehabt hat, ist mir mittlerweile entfallen. Aber nüchtern ist auf Rook Island sowieso kaum jemand. Das ist keine frische Brise im Baller-Genre, das ist ein ausgewachsener Tsunami, und ich bin wirklich froh, daß ich Far Cry 3 und nicht Tomb Raider als Ausflugsziel genommen habe. Kanns noch besser kommen?

Oh ja. Far Cry 3 + 80’s Action/Sci-Fi-Setting, komplett mit einem Soundtrack, der nach “Terminator 1.5 - the lost tapes” klingt. Far Cry 3: Blood Dragon ersetzt moderne Piraterie mit einem Liebesbrief an Schwarzenegger, Van Damme, Schwarzenegger und… Michael Biehn. Cyber-Soldaten, Laserknarren, Neon, unmögliche Haarschnitte und Zwischensequenzen, die auch aus Contra oder jedem anderen 8-/16-Bit-Actionspiel stammen könnten. Einfach die Demo auf XBLA antesten, läuft komplett ohne Far Cry 3. Allerdings ist Blood Dragon eine einsame Sache, als reiner Solo-Titel. Andererseits kostet es nur angenehme 1200 MS-Space-Credits. Wer Far Cry 3 mag (wie ich), bekommt hier ein schönes Alternativ-Szenario (und ich LIEBE die ganzen Hommagen an meine Jugendzeit!!!), wer Far Cry 3 nicht kennt, kann hier relativ bedenkenlos zubeißen und gucken, ob’s schmeckt.