Nach Bulletstorm wollte ich mir eigentlich keinen Ego-Shooter mehr kaufen, zumal meine Zeit mit der PC-Version des ersten Crysis alles andere als angenehm war. Naja, wie es nunmal so passiert, hatte ich das Spiel dann doch in der Hand, der Preis war in Ordnung, und zu meiner Überraschung gefällt es mir im Großen und Ganzen wirklich gut.

Zur Story: Praktischerweise kann man Crysis 2 problemlos spielen, auch wenn man vorher keine Berührung mit dem Cry-Universum hatte. In New York ist eine merkwürdige Seuche ausgebrochen, ein Trupp Marines wird angefordert, um die Quarantäne durchzudrücken - und es kommt natürlich alles anders, als geplant. Das U-Boot, mit dem die Marines nach New York kommen, wird von einem merkwürdigen Flugobjekt angegriffen, und der Spieler in der Rolle des konstant stummen Alcatraz wird irgendwo an Land gespült, wo eine Gestalt namens Prophet ihm in den Nano-Anzug steckt, um eine unvollendete Sache zu beenden. Und von da an wird man in einen Strudel der Ereignisse gerissen, in der sowohl eine Alien-Invasion als auch der Nano-Anzug eine tragende Rolle spielen. Mehr will ich gar nicht vorgreifen, es gibt einige interessante Wendungen, und endlich läßt sich ein Spiel mal wieder Zeit damit, das Setting und die Protagonisten langsam vorzustellen. Kommt einem schon fast anachronistisch vor.

Zuerst das Offensichtliche: Crysis 2 sieht verdammt gut aus. Die Umgebungen sind extrem detailreich, die Beleuchtung ist stimmungsvoll und auch die Weitsicht ist erstaunlich. Kaum zu glauben, daß das absolut ruckelfrei auf der doch recht betagten 360 läuft. Diese Detailfülle bringt (zumindest für mich) gelegentlich ein Mehr an Unübersichtlichkeit mit, vor allem, wenn man in dem ganzen Trümmern die paar Pixel raussuchen muß, die grade auf einen schießen. Die Tarnanzüge der (menschlichen) Gegenspieler funktionieren da fast schon ZU gut. Die Soundkulisse ist mindestens ebenso beeindruckend - räumliche Hall- und Verzerrungseffekte, eine großartige, elektronische Musikuntermalung (komponiert von Hans Zimmer) und eine wirklich grandios besetzte deutsche Synchro (die andere Option wäre Türkisch) sorgen auch für gestreichelte Ohren.

Spielerisch versucht Crysis 2, sowohl seine eigene Vergangenheit als auch gewisse Erwartungshaltungen seitens der Spieler zu erfüllen. Das erste Crysis bot für jeden Level eine riesige, offene Welt, in der man theoretisch jede spielerische Freiheit genoß, um ein angezeigtes Missionsziel zu erledigen. Mein Problem hierbei war nur, daß ich, sobald ich auf irgendwen geschossen habe, meist die gesamte Gegnerpopulation der Karte am Arsch hatte und außer panisch Wegrennen nichts anderes mehr drin war. Das wird dadurch umgangen, daß man das Spiel in eine etwas engere Struktur gegossen hat. Man wird elegant von einem Hotspot zum nächsten gelotst, aber die einzelnen Schlachtfelder sind groß, weitläufig und bieten reichlich taktische Möglichkeiten, egal ob man jetzt lieber schleicht oder die direkte Konfrontation sucht. Sozusagen die fast perfekte Kreuzung aus Schlauchlevel und Sandbox/open world.

Meiner Ansicht nach hat man aber wieder die beste Idee verschenkt. Das Hauptaugenmerk (auch bei der Story) liegt im Crysis-Universum auf dem sogenannten Nanosuit, einem Kampfanzug, der den Träger schneller, stärker und härter als den typischen Soldaten machen soll. Abgesehen von der jederzeit zuschaltbaren Tarnung fühlen sich Panzerung, Supersprung und Superstärke jedoch ziemlich underpowered an. Kombiniert mit der Tatsache, daß die Waffen relativ inkonsistent Schaden verursachen (nicht so extrem wie bei Metro 2033, aber spürbar genug - normalerweise sollte ein Shotgun-Schuß aus nächster Nähe einen Soldaten wegpusten und nicht nur müde zucken lassen), fühlt man sich selbst auf den niedrigsten der Schwierigkeitsstufen nicht wirklich wie ein Supersoldat.

Anfänglich war ich ziemlich ernüchtert, wie “typisch” das Setting von Crysis 2 rüberkam, aber sobald der Fokus weg von menschlichen hin zu Alien-Gegnern ging, legte das Spiel auf der Coolness-Skala gleich eine ganze Schippe zu. Die Aliens in ihren High-Tech-Panzerungen stechen deutlich besser aus der Umgebung hervor als die gut getarnten Marines, die graduelle Verwandlung von Manhattan vom Big Apple zum Vorort von Armageddon kommt unglaublich gut rüber - je weiter man im Spiel vorankommt, desto mehr Alien-Gebäude und -Gerätschaften wickeln sich um bekannte Locations wie die Wall Street oder Roosevelt Island und man fühlt sich eher wie auf den Schlachtfeldern eines Warhammer 40k oder Unreal Tournament. Hut ab dafür.

Außerdem muß man Crysis zugute halten, daß man auch als Multiplayer-Verschmäher ordentlich Spiel für’s Geld bekommt - die Solo-Kampagne braucht selbst auf dem niedrigsten der fünf Schwierigkeitsgrade locker 20 bis 25 Stunden - in Zeiten eines James Bond: Blood Stone mit seinen knappen sechs Stunden ein wahres Mammut-Opus. Ich fühlte mich auf jeden Fall die ganze Zeit hindurch blendend unterhalten, zumal die Story dank einiger Wendungen konstant spannend blieb.

Eine kleine Warnung noch zu guter Letzt zum Thema Multiplayer: Natürlich bedient Crysis auch den zur Seuche verkommenen Level-Wahn der Spieler-Community, soll heißen: Man verdient sich in den Gefechten Erfahrungspunkte, mit denen man Waffen, Waffen-Add-Ons und Anzug-Upgrades freischaltet. Es gibt allerdings mehrere größere Probleme. Erstens: XP gibt’s nur in Ranglisten-Matches, wodurch das Spielen unter Freunden quasi komplett ausgebremst wird. Zweitens, und das ist das größere der Probleme, ist die zugrundeliegende Technik ziemlich mies. Der Netcode kann mit Lag nicht wirklich gut umgehen, so daß man oft genug das Gefühl hat, nur einmal gestreift worden zu sein und sofort tot umfällt, während man selber drei Magazine in den Gegner pumpt und der nichtmal zuckt. Dadurch werden einige Anzug-Fähigkeiten komplett irrelevant, die Super-Panzerung ist im Grunde genommen nutzlos, die Stealth-Tarnung regiert das Schlachtfeld. Dazu kommen noch regelmäßige Verbindungsabrisse, wenn der Host aussteigt und der Netcode beim Weiterreichen des Hosts kapituliert, und aus einem eigentlich interessanten Multiplayer-Ereignis wird eine kapitale Bauchlandung.

Fazit: Ich bin positiv überrascht - soviel Spaß wie mit Crysis 2 hatte ich schon lange nicht mehr mit einem Egoshooter. Wer also einen angenehm anspruchsvollen, aber trotzdem brachial fetzenden Solo-Shooter spielen möchte, sollte sich Crysis 2 auf jeden Fall auf die Liste setzen. Wer hingegen seinen Multiplayer-Baller-Hunger stillen möchte, sollte lieber weiter bei seinem Spiel der Wahl bleiben oder einen Blick auf Section 8 Prejudice werfen, denn das macht in Sachen Multiplayer-ballern so ziemlich alles richtig. Aber dazu sage ich später noch ein paar Takte.